Fotos von ICD/ITKE, Universität Stuttgart
Fotos vom Herstellungsprozess von ICD/ITKE, Universität Stuttgart
Fotos vom Herstellungsprozess von der EMPA, Dübendorf, Schweiz
Fotos von Transport unf Aufbau, ICD/ITKE, Universität Stuttgart
Urbachturm
Der Urbachturm stellt eine einzigartige Holzstruktur dar. Der Entwurf des Turms verwendet einen neuartigen Selbstformungsprozess für gebogene Holzkomponenten. Diese bahnbrechende Entwicklung stellt einen Paradigmenwechsel in der Herstellung von gekrümmtem Holz dar: von aufwendigen und energieintensiven mechanischen Umformprozessen, die schwere Maschinen erfordern, hin zu einem Prozess, bei dem der Werkstoff sich ganz von selbst formt. Diese Formänderung wird allein durch das Schwinden des Holzes bei abnehmendem Feuchtegehalt erreicht. Die Komponenten für den 14 m hohen Turm werden eben hergestellt und krümmen sich beim üblichen industriellen Trocknungsprozess von selbst in die endgültige, vorausberechnete Form. Die Technologie der selbstformenden Fertigung von Massivholzplatten eröffnet mit ihrer einfachen Anpassung an unterschiedliche Krümmungsradien neue und unerwartete architektonische Möglichkeiten für die Verwendung des nachhaltigen, erneuerbaren und regional verfügbaren Baumaterials Holz.
Der Urbachturm ist das weltweit erste Bauwerk aus selbstgeformten, großformatigen Bauteilen. Es demonstriert nicht nur diesen innovativen Fertigungsansatz und die daraus resultierende neuartige Holzkonstruktion. Auch das Erlebnis von Raum und Landschaft wird durch die markante Landmarke, die den Beitrag der Stadt Urbach zur Remstal Gartenschau 2019 darstellt, intensiviert.
Materialprogrammierung und Vorhersagbarkeit
Im Holzbau verursachen Feuchtänderungen typischerweise Probleme mit Rissbildung und Verformung und müssen daher sorgfältig kontrolliert werden. Im Gegensatz dazu wird in diesem Projekt das Material so angeordnet, dass es diese kraftvolle, natürlich auftretende Verformung nutzt, um ein geplantes Selbstformungsverhalten zu aktivieren. In der gleichen Weise wie Maschinen programmiert werden können, um verschiedene Bewegungen auszuführen, kann auch der Werkstoff Holz so programmiert werden, dass es sich während dem Trocknen in eine vorgegebene Form krümmt.
Während es seit Jahrhunderten Methoden gibt, Holz in verschiedene Formen zu biegen und sich diese zu anerkannten, industriellen Prozessen entwickelt haben, sind sie nach wie vor meist auf hohe mechanische Kräfte für den Formgebungsprozess angewiesen. Ebenso ist das Verformungsverhalten, von Holz bei Feuchteänderungen in der Praxis und in der Wissenschaft seit langem bekannt. Ein Umdenken im Entwerfen und Konstruieren sowie neue digitale Materialmodelle zur genaueren Vorhersage ermöglichen es uns nun, dieses feuchtigkeitsbedingte Quellen und Schwinden zu nutzen, um spezifische Selbstformungsprozesse in immer größeren Dimensionen zu planen und zu realisieren.
Selbstformende Fertigung im Gebäudemaßstab
Die bahnbrechende Entwicklung der großflächigen Selbstformung stellt einen Paradigmenwechsel im Holzbau dar. Statt aufwändiger und energieintensiver mechanischer Umformprozesse, die schwere Maschinen erfordern, verformt sich der Werkstoff hier ganz von selbst. Diese Formänderung wird nur durch das charakteristische Schwinden des Holzes bei abnehmendem Feuchtigkeitsgehalt verursacht. Die gebogenen Komponenten der Turmstruktur aus Brettsperrholz (BSPH / CLT) werden als flache Paneele geplant und hergestellt, die sich während des Trocknens autonom in vorausberechnete, gekrümmte Formen biegen. Die 5,0 m x 1,2 m großen Bilayer aus Fichtenholz werden mit hoher Holzfeuchte und spezifischem Schichtaufbau hergestellt und in einem industriell standardisierten Trocknungsverfahren getrocknet. Beim Herausnehmen aus der Trockenkammer sind die Elemente präzise gekrümmt. Diese werden anschließend miteinander überlappend laminiert, um die Geometrie zu fixieren, und bilden so größere, formstabile, gekrümmte Brettsperrholz-Komponenten.
Materialspezifische, computergestützte mechanische Modelle wurden entwickelt, um sowohl die Materialanordnung zu planen und als auch die Materialanordnung zu optimieren, die zur Herstellung verschiedener Krümmungstypen und Radien mit der notwendigen Genauigkeit erforderlich ist. Die Technologie der selbstformenden Fertigung von Massivholzplatten und die einfache und schnelle Anpassungsfähigkeit des Verfahrens an unterschiedliche Krümmungsradien eröffnet neue und unerwartete architektonische Möglichkeiten für dünne Schalenstrukturen unter Verwendung des nachhaltigen, erneuerbaren und regional verfügbaren Baumaterials Holz. Der Urbach Turm ist die weltweit erste Umsetzung dieser Technologie für tragende Holzbauteile im Gebäudemaßstab.
Nachhaltige Massivholzkonstruktion und funktionale Holzverkleidung
Die selbstformenden Komponenten bestehen vollständig aus regional bezogenen Fichtenholzbrettern aus der Schweiz. Die einzelnen Bauteile weisen eine Länge von bis zu 15 m auf, mit einem Radius von 2,40 m und einer Bauteildicke von nur 90 mm. Die Komponenten sind aus Halbzylinderrohlingen 5-achsig CNC-gefräst und zu Baugruppen aus drei Komponenten einschließlich Wassersperre und externer Holzverkleidung für den Transport vormontiert. Mit präziser, vorausberechneter Krümmung und optimaler Faserausrichtung aus dem Herstellungsprozess wird jede Komponente in nur 90 Minuten Maschinenzeit geschnitten und bearbeitet. Auf der Außenseite wird eine maßgefertigte Fassade aus geschnittenem Brettschichtholzträgern aus Lärche aufgebracht. Dies umfasst ebenfalls die Anwendung einer transparenten, dauerhaften inorganischen Beschichtung, die das Holz vor UV-Strahlung und Pilzbefall schützt. Anstatt zu reißen und unter Witterungseinflüssen silbergrau zu werden, erhält das Lärchenholz mit der Zeit eine gleichmäßige weiße Farbe.
Die gesamte Prozesskette, vom Schneiden der regionalen Stämme im Sägewerk über die Herstellung der selbstformenden Platten, den Trocknungsprozess bis hin zur Endbearbeitung und Vormontage, erfolgt innerhalb derselben Unternehmensgruppe und am gleichen Standort. Dies ermöglicht nicht nur eine nachhaltige und innovative Produktion, sondern zeigt auch, wie sich die selbstformende Fertigung nahtlos in bestehende industrielle Holzverarbeitungs- und Fertigungsabläufe integrieren lässt.
Dünnschalige hochleistungsfähige Holzkonstruktion
Der Urbachturm besteht aus 12 gekrümmten Bauteilen aus Brettsperrholz. Die Tragkonstruktion des Turms weist eine Dicke von 90 mm auf und ist über 14 Meter hoch, was zu einem Spannweiten-Dicken-Verhältnis von ca. 160:1 führt. Die Krümmung ermöglicht eine sehr schlanke und leichte Turmstruktur von nur 38 kg pro Quadratmeter Turmoberfläche. Im montierten Zustand wirkt der Turm durch seine ausdrucksvolle gekrümmte Geometrie statisch als flächenaktive Struktur. Die Verbindung der Leichtbauelemente erfolgt durch kreuzweise angeordnete Vollgewindeschrauben, deren Anordnung und spezifischer Winkel im gesamten Bauwerk in Bezug auf ihre statische Ausnutzung optimiert ist, wobei eine durchgehende Verbindung entlang der Naht für einen homogenen Lastabtrag sorgt.
Die vorgefertigten Baugruppen des Turms, die jeweils aus drei gekrümmten Bauteilen bestehen, wurden von einem Team von vier Handwerkern ohne aufwändige Gerüste und Schalungen an einem einzigen Arbeitstag montiert und durch ein transparentes Dach abgeschlossen. Die Struktur zeigt die Möglichkeiten einer effizienten, ökonomischen, ökologischen und ausdrucksstarken Holzarchitektur, die an der Schnittstelle von Meisterhandwerk, digitaler Innovation und wissenschaftlicher Forschung entsteht.
Einzigartiges architektonisches Wahrzeichen für das Remstal
Der Urbachturm ist eine von 16 Stationen, die von einigen der renommiertesten deutschen Architekten für die Remstal Gartenschau 2019 entworfen wurden. Die Stationen sind kleine, dauerhafte Gebäude, die an die traditionellen weißen Kapellen erinnern, die auf den Feldern und Weinbergen entlang des malerischen Remstals verteilt sind. Der 14 Meter hohe Turm liegt an einem weithin sichtbaren Hang in der Mitte des Tales und ist ein markantes Wahrzeichen, das Blickbeziehungen mit mehreren Stationen herstellt. Es bietet einen Ort des Schutzes, der inneren Reflexion und zugleich des weit schweifenden Ausblicks, indem es eine beeindruckende Aussicht offenbart und die Landschaft rahmt. Die markante Form des Turms ist ein wahrhaft zeitgenössischer architektonischer Ausdruck des traditionellen Baumaterials Holz. Es zelebriert die natürlichen Eigenschaften des selbstgeformten Holzes in seiner elegant gewundenen Form.
Die konkave Krümmung der Elemente führt auf der Außenseite des Turms zu klaren Linien und markanten Oberflächen, die durch direktes Tageslicht und die Aufhellung der Lärchenbekleidung im Laufe der Zeit noch verstärkt werden. Im Gegensatz dazu erzeugt die konvexe Krümmung im Inneren ein unerwartetes, visuelles und haptisches Materialerlebnis, da die Holzstruktur fast weich und textilartig wirkt. Der Eindruck der sanft geschwungenen Oberflächen wird durch das von oben durch das transparente Dach einfallende, indirekte Licht noch intensiviert. Gegenüber dem Eingang öffnet sich die schlanke Hülle aus Holz wie ein Vorhang und rückt so das Remstal in den Mittelpunkt.
Projektteam:
ICD – Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung, Universität Stuttgart
Prof. Achim Menges, Dylan Wood
Architektonischer Entwurf und Planung
Selbstformende gekrümmte Holzelemente Forschung und Entwicklung
ITKE – Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen, Universität Stuttgart
Prof. Jan Knippers, Lotte Aldinger, Simon Bechert
Tragwerksentwurf und Planung
Forschungs- und Industriepartner:
Angewandte Holzforschung, Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt),
Schweiz & Holzbasierte Materialien, ETH Zürich (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich), Schweiz
Dr. Markus Rüggeberg, Philippe Grönquist, Prof. Ingo Burgert
Selbstformende gekrümmte Holzelemente Forschung und Entwicklung (PI)
Industriepartner:
Blumer-Lehmann AG, Gossau, Schweiz
Katharina Lehmann, David Riggenbach
Holzbau Herstellung und Ausführung
Selbstformende gekrümmte Holzelemente Forschung und Entwicklung
Projektunterstützung:
Gemeinde Urbach
Remstal Gartenschau 2019 GmbH
Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Planungs-, Fertigungs- und Auslegungsmethoden für die Anwendung gekrümmter Holzbauteile für hochtragfähige und ressourceneffiziente Holzbauweisen: Projekt Turm Urbach, Remstal Gartenschau
Innosuisse – Schweizerische Agentur für Innovationsförderung
Smart, Innovative Manufacturing of Curved Wooden Components for Architecture with Complex Geometry
Carlisle Construction Materials GmbH
Scanntronik Mugrauer GmbH
Projektdaten:
Abmessungen
- 14,20 m hohe Holzkonstruktion
- 4,0 m Radius unten, 3,0 m Radius oben, 1,6 m Radius Mitte
- Brettsperrholz aus Fichte mit einem 10-30-10-30-30-10 Schichtaufbau
- Holzfassade aus Lärche mit Titanoxid-Oberflächenbehandlung
- 5-Achs-CNC-gefräste Komponenten
- 12 einzelne vorgefertigte Komponenten, vormontiert in Bauteilgruppen aus drei Komponenten
- Kreuzweise angeordnete Vollgewindeschrauben als Verbindungsdetail mit Montageblöcken aus Holz
- 8 Sensoren zur Überwachung des internen WMC der Struktur
Bausystem
Gekrümmte, flächenaktive Turmstruktur; selbstgeformtes, gekrümmtes Brettsperrholz (CLT) aus Fichte mit einem 10 -30-10-30-30-10 Schichtaufbau, Lärchenfassade aus geschnittenen Brettschichtholzträgern mit Titanoxid-UV-Schutz-Oberflächenbehandlung, kaltgebogenes Dach aus Polycarbonat mit Unterkonstruktion aus Stahl.
Kontakt ITKE:
Lotte Aldinger, Simon Bechert
s.bechert@itke.uni-stuttgart.de
+49-711-685-83280
Kontakt ICD:
Dylan Wood
Dylan.wood@icd.uni-stuttgart.de
+49 (0) 711 685 819 32